Noëlle Kröger über ihren Comic "Meute"
Noëlle Kröger ist eine von vier jungen Zeichner:innen aus Hamburg, die derzeit an ihrem Debüt bei Reprodukt arbeitet. Der Comic mit dem Titel "Meute" soll im Herbst 2024 erscheinen.
Hi Noëlle, danke, dass du dir die Zeit nimmst für unser Gespräch. Wie bist du zum Zeichen gekommenen und was hat dich dazu inspiriert, selbst Comics zu machen?
Wie die meisten Leute habe ich als Kind gezeichnet und einfach nie damit aufgehört. Außerdem hatte ich immer Zugang zu vielen Comics, da ich in Hamburg auf einer französischen Schule war. Einmal die Woche gab’s die Unterrichtsstunde „bibliothèque“, wo wir in der Schulbibliothek gingen, die zur Hälfte aus Comics bestand, die wir lesen und ausleihen durften. Oft habe ich dann zu Hause die Figuren abgezeichnet, besonders Spirou.
In "Meute" tauchst du in eine mittelalterliche, altertümliche Welt ein und dennoch gibt es Parallelen zu unserer heutigen Zeit. Worin liegen diese und warum glaubst Du, ist das so? Was erzählt uns "Meute"?
In "Meute" beziehe ich mich insbesondere auf das Ende des 19. Jahrhunderts, Anfang des 20. Jahrhunderts. Das war eine Zeit, in der sich viele der Ideen und Weltanschauungen bildeten, die wir heute als selbstverständlich und zeitlos wahrnehmen. Am ausführlichsten auseinandergesetzt habe ich mich mit unserer Wahrnehmung von Geschlecht, die sich damals stark verändert hat. Mich interessiert diese Umbruchszeit, vor allem die Pathologisierung von Minderheiten unter dem Deckmantel von Wissenschaft. Ich glaube, dass ein Blick in vergangene Denkprozesse uns erlaubt, heutige Denkprozesse anders betrachten zu können.
Warum das Motiv Werwölfe? Was interessiert dich an ihnen?
Wo soll ich anfangen! Der Werwolf ist wie alle Monster ein Grenzgänger, der Normen durch seine bloße Existenz in Frage stellt. In ihm kommen viele (vermeintliche) Dichotomien zusammen, die ich ganz besonders spannend finde. Natur vs. Kultur, Tier vs. Mensch, bewusst vs. unbewusst… Außerdem ist der Werwolf ein deutlich gegendertes Monster, die meisten Geschichten drehen sich um männliche Werwölfe und dementsprechend auch um Maskulinität. Ich sehe in den narrativen Konventionen des Werwolfs auch viele Parallelen zu den narrativen Konventionen von Transgeschlechtlichkeit. Zum Beispiel steht die Transition/Transformation oft im Fokus, die Hauptfigur ist vereinzelt, hat Angst vor der Entlarvung und stirbt absurd häufig am Ende der Geschichte. Da fand ich es besonders interessant, meine eigene (queere) Perspektive auf den Werwolf zu finden, auch wenn es in "Meute" nur implizit um Geschlecht geht und, wie bei jeder Metapher, andere Lesarten möglich sind.
"Das Unbehagen des Guten Menschen" war dein erster Comic, gibt es parallele Themen zwischen deinem neusten Comic und dem vorigen?
In beiden Comics geht es um die Macht, die normative Gemeinschaften auf das Leben von Minderheiten haben. Wie kann man innerhalb systematischer Diskriminierung existieren, wie funktioniert sie, wie und wo entstehen Freiräume?
"Meute" ist der erste Comic, der bei einem Verlag veröffentlicht wird, währenddessen du "Das Unbehagen des Guten Menschen" eigenständig veröffentlicht hast. Wie unterschieden sich die Prozesse an der Arbeit im Vergleich?
Natürlich habe ich "Das Unbehagen des Guten Menschen" nicht komplett eigenständig gemacht, der Comic entstand damals an der HAW Hamburg und der Comic-Geheimclub (eine Arbeitsgruppe) hat mir ausführlich Feedback gegeben. Dennoch merke ich, dass es eine große Hilfe ist, die Rückendeckung eines Verlages zu haben. Ich bekomme Hinweise bei der Erstellung der Druckdaten, habe ein Lektorat und die Sicherheit, dass am Ende alles doppelt und dreifach auf Rechtschreibfehler geprüft wird. Insbesondere dadurch, dass mir die anstrengende Arbeit des Vertriebs abgenommen wird, kann ich mich mehr auf das eigentliche Zeichnen konzentrieren. Was mich sehr erleichtert ist, dass ich in beiden Prozessen dieselbe kreative Freiheit habe.
Noëlle, du verfolgt ja auch seit Jahren die Arbeiten von Ika und Wiebke. Was findest du an ihren Projekten spannend? Welchen Einfluss hatte der gemeinsame Austausch mit ihnen auf dein eigenes Buch?
Sowohl "Viktoria Aal" als auch Ikas noch unbetiteltes Projekt beeindrucken mich besonders durch ihren Umgang mit Ambivalenzen. Es gibt kein klares Gut oder Böse, schwierige Situationen dürfen schwierig bleiben und Lesende können sich ein eigenes Bild machen. Auf alle Figuren wird empathisch eingegangen, niemand wird entschuldigt, aber alles nachvollziehbar gemacht.
Wiebke und Ika sind ebenfalls Teil des Comic-Geheimclubs und damit für mich eine wöchentliche Stimme der Vernunft. Ebenso wichtig wie das kritische Feedback ist das Anfeuern und gegenseitige Motivieren.