Ika Sperling über "Der Große Reset"
Die junge Hamburger Comiczeichnerin Ika Sperling über ihren im Entstehung befindlichen Comic "Der Große Reset", der im Frühjahr 2024 bei Reprodukt erscheinen soll.
Wann hast du angefangen zu Zeichnen und wann hast du das Geschichtenerzählen für dich entdeckt?
Ich habe als Kind schon gerne Geschichten geschrieben, damals aber eher irgendwelche "Harry-Potter"-Rip-offs. So richtig angefangen zu Zeichnen habe ich erst mit 11, in der fünften Klasse. Ich habe damals (und auch bis heute noch) sehr gerne Mangas gelesen und Animes geguckt und die Figuren vom Bildschirm abgepaust (mach ich heute auch noch gerne). Irgendwann habe ich meine eigenen Figuren gezeichnet und bin dann mit 15 auf ein staatliches Kunstgymnasium gewechselt, auf dem ich sehr viel gelernt habe.
Mit "Der Große Reset" wird dein erster Comic bei einem Verlag veröffentlicht. Wir würden uns freuen, wenn du ein wenig darüber erzählen magst. Worum wird es in deinem Comic gehen? Warum erzählst Du diese Story?
In meinen Comic geht es um die Erfahrung, einen Angehörigen an einen Verschwörungsideologie zu verlieren und die emotionale Ambivalenz, die damit verbunden ist. Der Comic ist autofiktional und grob an meine Erfahrungen mit meinem Vater orientiert.
In deinem Comic sprichst du über den Umgang mit Verschwörungstheoretiker*innen. Wie haben die letzten Jahre mit Pandemie und Co. diese Thematik mit beeinflusst?
Ich denke, für viele Angehörige von Verschwörungsgläubigen war die Pandemie wie Benzin im Feuer. Ich bin in ein paar Selbsthilfegruppen zu dem Thema aktiv und habe mich in den letzten Jahren viel mit Verschwörungsideologien beschäftigt, um besser zu verstehen, was da mit unseren Angehörigen passiert ist. Viele waren schon vorher entweder politisch rechts orientiert oder esoterisch veranlagt. Die Ausnahmesituation, die mit der Pandemie einhergegangen ist, zusammen mit fehlenden sozialen Kontakten und mehr Zeit vor YouTube, Telegram und Co., hat dafür gesorgt, dass sich viele Verschwörungsgläubige komplett in den Kaninchenbau gestürzt haben. Natürlich gibt es noch sehr viele andere Gründe: Misstrauen in Politiker*innen, gezielte Desinformationskampagnen, unbehandelte physische Erkrankungen, anerzogenes Verhalten und Glaubenssätze, soziale Herkunft, Klasse und noch viel mehr.
War es für dich herausfordernd, ein politisch so aufgeladenes Thema aufzugreifen?
Zu Beginn auf jeden Fall! Allerdings war es für mich nicht nur politisch, sondern auch emotional aufgeladen. Ich hatte zwei Jahre lang eine ziemliche Krise, was meine Comics angeht. In der Zeit haben immer wieder Leute zu mir gesagt: „Ika, mach eine Geschichte über Verschwörungsgläubige“. Aber ich hatte keine Lust, mich neben meinem Vater, der Berichterstattung über Querdenker-Demonstrationen, den zahlreichen Podcasts und Artikeln, auch noch in meiner künstlerischen Arbeit mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Ich dachte, ich zeichne dann 150 Seiten von Figuren, die alle traurig in der Gegend rumstehen und es ist alles ganz, ganz schlimm. Aber das ist mein Comic nicht. Die Geschichte ist teilweise komisch, gefühlvoll, schön und traurig und zeigt gut, wie ambivalent ich diese Erfahrung erlebt habe.
"Der Große Reset" ist der erste Comic, der bei einem Verlag veröffentlicht wird. Hast du schon eine Idee für deinen nächsten Comic?
Also, erst mal muss ich ja diesen einen fertigmachen. Dafür brauche ich, wenn alles gut läuft, bis Ende August. Allerdings habe ich darüber auch schon nachgedacht: Ich überlege, ob ich eine längere Geschichte über “den Schlachter”, das war die Metal- und Emo Szene in Mainz und Wiesbaden, um 2012 rum, erzählen kann. Das wäre auch wieder ein ziemlich autofiktionaler Comic. Ich war damals selbst viel “am Schlachter” unterwegs und es gab einige ziemlich krasse soziale Machtstrukturen in diesen Kreisen, die ein gutes Beispiel dafür sind, dass man eine Meute von psychisch auffälligen Jugendlichen nicht ohne Sozialarbeiter*innen auf einem dreckigen Real-Getränkemarkt-Parkplatz rumhängen lassen sollte.
Ika, du verfolgst ja auch seit Jahren die Arbeiten von Noëlle und Wiebke. Was findest du an ihren Projekten spannend? Welchen Einfluss hatte der gemeinsame Austausch mit ihnen auf dein eigenes Buch?
Ich bin schon Wiebke-Fan seit der ersten Stunde! An Wiebkes Comics gefällt mir am besten, dass Wiebke soziale Situationen im Arbeitsalltag so gut beobachten kann. So vielseitig die Story von “Viktoria Aal“ auf den ersten Blick wirkt, liegt ihre Stärke in der Darstellung von Beziehungen der zahlreichen sympathischen Charaktere untereinander. Auch die Orte, an denen Wiebkes Geschichten spielen, finde ich immer absolut bezaubernd: der Souvenirshop der pinken Lagune ("Warnebi" Anm.d.Red.), ein komischer Achtsamkeits-Workshop für Büro-Leute oder – wie in "Viktoria Aal" – "Seafun", eines dieser Riesenaquarien mit Meerjungfrauenshows.
Noëlle ist für mich der Grandmaster der Theorie. Ich kenne nur wenige Leute, die sich so gerne und intensiv mit theoretischen Texten auseinandersetzen (und dabei auch noch Spaß haben). Daraus resultiert, dass alle von Noëlles Projekten sehr gut durchdacht, geplant und ausgeführt sind. Das in Verbindung mit Noëlles freien und spontanen Zeichenstil, der sich nicht an Panel Begrenzungen oder Erwartungen hält und seinen*ihren zugänglichen, an Charakteren orientierten Geschichten, sorgt dafür, dass Noëlle fast alles erzählen kann, ohne dass es langweilig wird. Bei Meute interessiert mich besonders der subtile aufklärerische Charakter, durch den ich viele meiner eigenen Erwartungen und Vorstellungen von Normen an Körper und Gender hinterfragt habe.
Ich weiß nie so ganz, ob ich Noëlle und Wiebke als meine Freund*innen, Kommiliton*innen oder Kolleg*innen vorstellen soll. Eigentlich sind sie alles zusammen. Wir tauschen uns bis heute viel im Comic-Geheimclub aus, einer Feedbackrunde in der wir uns einmal die Woche mit anderen Zeichner*innen treffen. Ich hab schon erzählt, dass ich vor zwei Jahren einen ziemliche Krise im Studium hatte. Einer der Faktoren, wie ich es daraus geschafft habe, war der Austausch mit Noëlle, Wiebke und den anderen vom Club. Für mich war es superwichtig, Leute hinter mir zu haben, die an mich glauben und die den Wert meiner Arbeit sehen, auch wenn ich es gerade nicht tue.