Zwischen-den-Jahren-Interviews II: Noëlle Kröger – "Meute"
Hey Noëlle, vielen Dank, dass du dir Zeit nimmst, mit uns über deinen Reprodukt-Erstling "Meute" zu sprechen. Magst du uns zu Beginn ein bisschen über dich und deinen zeichnerischen Werdegang verraten? Wie bist du zur Illustration und zum Comic gekommen? Was hat dich am Comic und seinen narrativen Möglichkeiten besonders interessiert?
Noëlle Kröger: Moin & gerne! Comics haben mich schon immer interessiert, genau wie das Zeichnen, und ich bin glücklicherweise in einem Umfeld aufgewachsen, in dem das ernst genommen wurde. Als ich dann erfahren habe, dass man in Hamburg an der HAW Illustration studieren kann, war die Sache klar – und zum Glück hat’s auch direkt geklappt. So bin ich nach dem Abi in den Bachelor und anschließend Master geschlittert. Anke Feuchtenberger und Sascha Hommer waren dabei die wichtigsten Lehrenden für mich und haben mich immer weiter ermutigt, in den Comicbereich zu gehen. Der war ohnehin von Anfang an meine Passion, aber aufgrund der prekären beruflichen Situation wollte ich mich nicht von vornherein festlegen. Jetzt bin ich aber sehr froh, diesen Weg eingeschlagen zu haben. Bei Comics findet das Zusammenspiel zwischen Text und Bild auf eine Art statt, wie ich sie in der Illustration seltener finde. Das fasziniert mich. Es lässt unglaublich viele Zwischentöne zu. Das ambivalente Dazwischen ist genau das, was ich ausloten möchte mit meinen Arbeiten.
Hast du in deinem künstlerischen Werk – ob in Comic, Illustrationen oder freien Arbeiten – bestimmte Themen und Diskurse, die du verfolgst und die viele Aspekte deines Schaffens verbinden?
Noëlle Kröger: Im Kern interessieren mich vermeintliche Dichotomien. Bislang habe ich mich viel mit Geschlecht auseinander gesetzt, vor allem im Bezug auf Transgeschlechtlichkeit. Dabei ist es mir wichtig, keine Zeigefinger-Position einzunehmen, sondern dem Thema mit seiner Komplexität gerecht zu werden. Aufklärende (Sach-)Comics haben ihren Platz und ihre Wichtigkeit, aber mir geht es um die Grautöne. Ich möchte nicht so tun als gäbe es immer klare Definitionen und Antworten.
Mein erster langer Comic, DAS UNBEHAGEN DES GUTEN MENSCHEN, erzählt ein Theaterstück von Brecht neu. In diesem Theaterstück verkleidet sich die weibliche Hauptfigur aus Not immer wieder als Mann. Das war von Brecht nicht unbedingt so vorgesehen, aber ich habe darin auch eine Freude am Spiel mit Geschlechterrollen gesehen, die ich in den Vordergrund holen wollte. Die Arbeit an dem Buch hat mir geholfen, mich als nichtbinär zu outen. Bei "Meute" habe ich mich dann gefragt – gut, du bist trans*, aber was bedeutet das? Wo ist dein Platz in der Welt? Wer sind deine trans* Vorfahren? Auch wenn "Meute" fiktiv ist war die Arbeit daran zutiefst persönlich.
Fast zeitgleich mit "Meute" ist ein weiterer Comic von dir erschienen, über den Dichter William Blake – als Teil einer Ausstellung in der Kunsthalle Hamburg, die dieser Tage zu Ende geht. Könntest du uns ein bisschen zu dem Projekt erzählen? Was hat dich an Blake als Gegenstand gereizt und wie hast du dich dem Thema genähert?
Noëlle Kröger: William Blake war auch jemand, der sich an angeblichen Dichotomien abgearbeitet hat – vor allem Gott vs. Teufel, Gut vs. Böse, Chaos vs. Ordnung. Also sehr religiöse Themen, was zuerst sehr befremdlich für mich war. Blake hatte außerdem sein Leben lang Visionen von Engeln und war wohl kein einfacher Zeitgenosse. Aber trotz all dieser Differenzen haben seine Bilder sehr zu mir gesprochen, sie haben etwas Zeitloses und sehr Liebevolles. Letztlich war dann die Beziehung zu seiner Frau Catherine das, was mir Zugang zu ihm gegeben hat. Deren Zusammenarbeit war dann der rote Faden meiner Blake-Biographie. Ein weiterer Schlüsselmoment war ein Satz aus Peter Ackroyds Biographie über Blake: „He had [...] compared death to ‚a removing from one room to another’.” Das hat mich sofort an Panel erinnert, die Räume als Panel und Gutter (der Abstand zwischen den Paneln). Das hat mir einen Grund gegeben, damit etwas zu experimentieren.
"Meute" ist nicht deine erste Werwolf-Erzählung - vor zwei Jahren hast du schon den kurzen Band “Was bedeutet mir der Werwolf?” im Hamburger MamiVerlag veröffentlicht. Magst du uns die Frage gleich beantworten? Was bedeutet dir der Werwolf?
Der Werwolf kann so viel sein – meist ist er in Geschichten in der ein oder anderen Form die Personifizierung eines unterdrückten Gefühls. Mein unterdrücktes Gefühl war meine Transgeschlechtlichkeit.
"Meute" ist eine ganz besondere Werwolfs-Erzählung. Die Horrorelemente, derer sich der Stoff sonst bedient, sind hier kaum vorhanden bzw. gehen hier eher vom Menschen als vom Werwolf aus. Welche Idee(n) liegen der Erzählung zu Grunde? Warum wolltest du diesen Stoff unbedingt erzählen?
Noëlle Kröger: Beim Werwolf gibt es diese typischen narrativen Muster, die mich an eine andere typische Narration erinnert haben: nämlich an Mainstream-Geschichten über Transgeschlechtlichkeit. Die Hauptfigur ist die einzige trans* Person, sie lebt vereinzelt, ihr trans*-sein hat sie einsam gemacht. Die Geschichte dreht sich um die Transition, es gibt viele Vorher- und Nachher-Bilder. Es wird viel auf das „Warum“ eingegangen. „Warum ist diese Figur so und leider, leider nicht normal?“ Oft stirbt sie am Ende und die Norm kann wiederhergestellt werden.
Was mich daran immer gestört hat, ist vor allem die Vereinzelung, denn sie entspricht selten der Realität. Wir finden unsere Rudel, warum sollte es beim Werwolf anders sein? Deshalb war von Anfang an klar, dass ich eine Gemeinschaft erzählen wollte, die in sich auch widersprüchlich sein darf. So fing alles an und der Rest hat sich immer weiter ergeben. Wenn ich bei meinen Werwölfen nicht weiter wusste, habe ich immer versucht auf historische und meine eigenen Erfahrungen zurück zu greifen.
Im Zentrum deiner Erzählung steht die Naturforscherin Margot, die als Nachwuchswissenschaftlerin in einer kleinen französischen Stadt als Teil eines Instituts an der Erforschung eines gefangenen Werwolfs teilnehmen darf bzw. nicht darf – weil sie die männlichen Kollegen nicht für voll nehmen. Erzähl uns doch ein bisschen mehr über Margot. Was war dir an ihrer Darstellung wichtig, vor allem im Kontrast zu den männlichen Akademikern?
Noëlle Kröger: Margot war für mich eine unglaublich spannende Figur. Sie leidet klar an dem Sexismus und der Arroganz der Professoren, schafft es aber niemals vollständig, ihre eigene Arroganz gegenüber den Werwölfen abzulegen. Selbst marginalisiert zu sein schützt sie nicht davor, andere zu marginalisieren. Dadurch ist sie keine typische Heldin. Sie meint es gut, aber macht (vielleicht?) das Falsche oder zumindest zu wenig zu spät. Die Balance zwischen Sympathie mit ihr und der Sympathie mit den Werwölfen war mir sehr wichtig, denn Margot zu begleiten ist manchmal frustrierend. Ich glaube aber, dass dieser Frust produktiv sein kann. Er bringt Le- sende dazu, sich zu fragen was Margot anders machen sollte und vielleicht lässt sich manches davon auf die Realität übertragen.
Im Kern geht es in "Meute" um das Thema Körperlichkeit – um die Auflösung von starren Vorstellungen von Körper und Identität. Auch wenn "Meute" keine klassische Horrorerzählung ist, lebt sie ja von kollektiven Bildern und Vorstellungen aus zahlreichen anderen Horror-Erzählungen über Transformationen, Mutationen und andere Schrecken, die im Körper innewohnen. Warum eignen sich vor allem das Gruselgenre (zu dem Werwolfsgeschichten ja seit der Antike dazugehören) besonders, um über Körperthemen wie trans*-Identität zu sprechen?
Noëlle Kröger: Geschlecht wird nicht nur über Körper, sondern vor allem über Bilder von Körpern gefestigt. Das gilt für uns alle, egal ob trans* oder nicht. Ich finde dem wohnt ein ganz eigener Horror inne. Horror ist sehr gut darin, solche Abhängigkeiten und tief verwurzelten Ideen ans Tageslicht zu holen, indem es uns mit allem konfrontiert, was sich nicht einordnen lässt und damit die Norm entlarvt. Man kann die Selbstidentifizierung von Minderheiten mit dem Monströsen merkwürdig finden, aber ich empfinde das Monströse, das Dazwischen, das Abjekte nicht als abstoßend. Ich finde, dem wohnt eine Macht inne. Ich glaube, mithilfe des Monsters können wir, also trans* und cis-Menschen, durchaus lernen, dass es kein „Wir vs. die Anderen“ gibt; alle sind sehr viel näher am vermeintlich Anderen dran, als sie gerne hätten. Außerdem sind Monster „my favourite thing“.
"Meute erzählt auch von Ausgrenzung und Verfolgung, von irrationaler Angst und der rationalen Instrumentalisierung von Ängsten. Was war dir in der Aufbereitung dieser Thematiken wichtig?
Noëlle Kröger: Mir war besonders wichtig, meine Lesenden Ernst zu nehmen. Ich wollte über die Geschichte Dynamiken offen legen, aber nicht vorgeben, was für Schlüsse daraus gezogen werden sollen. Deshalb wird Transgeschlechtlichkeit auch mit keinem Wort erwähnt. Ich habe Vertrauen darin, dass klar wird, worum es mir geht.
Anfang Oktober findet wieder das Comicfestival Hamburg statt, an dem du auch schon seit Jahren beteiligt bist (stimmt doch, oder?). Dabei wird auch "Meute" als Teil einer Ausstellung mit den Arbeiten von Hamburger Debütant*innen zu sehen sein. Wie wichtig sind das Festival und die darüber stattfindende Vernetzung der Comicszene in HH für dich und deine Arbeit? Welche Bedeutung hat das Festival für die deutschsprachige Comickunst?
Noëlle Kröger: Das Festival ist seit Jahren ein konstanter Bezugspunkt für mich. 2018 war ich im Rahmen eines HAW-Kurses bei Sascha Hommer das erste Mal dabei. DAS UNBEHAGEN DES GUTEN MENSCHEN, mein erstes Buch im Selbstverlag, wurde über Umwege durch Kontakte, die ich beim Comicfestival geknüpft habe, beim amerikanischen Verlag Fieldmouse Press verlegt. Das war ein wichtiger Durchbruch für mich, genau wie jetzt die Veröffentlichung von "Meute". Da ist es nur passend, dass die Release-Veranstaltung beim Comicfestival Hamburg stattfindet. Ich empfinde den Zusammenhalt der Hamburger Comicszene ohnehin als sehr wichtig. Ich bin auch Teil des Comic Geheimclubs, einer Arbeitsgruppe, die sich regelmäßig trifft. Deren Feedback hat "Meute" auch stark geprägt.