Zwischen-den-Jahren-Interviews III: Claus Daniel Herrmann – "Pinke Monster"
Lieber Claus Daniel, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, mit uns über dein neu erschienenes Debüt "Pinke Monster" zu sprechen. Könntest du uns zu Beginn ein wenig über dich und deinen Werdegang erzählen? Wie bist du zum Zeichnen gekommen und was macht das Medium Comic für dich so besonders?
Claus Daniel Herrmann: Ich zeichne eigentlich solange ich denken kann. Ich habe Design studiert und mich im Studium sehr für 3D-Animation interessiert. Meine Zeichnungen waren damals eher Entwürfe für 3D-Modelle oder Konzept-Zeichnungen, also Vorstufen und nicht eigenständige Bilder.
Einen richtigen Schub dahin, meine Zeichentätigkeit ernster zu nehmen hat mir 2011 ein Zeichenfestival gegeben, während dem ich mit ca. 40 anderen Zeichner:innen zehn Tage nur mit dem Skizzenbuch verbracht habe. Darunter waren auch Comic-Zeichner*innen. Mich hat am Comic total fasziniert, dass im Comic-Medium Zeichnungen viel mehr Bedeutung transportieren können, indem man sie zu Geschichten verbindet. Aber das Medium Comic bietet mir auch ganz viel Spielraum für visuelle Experimente, was mir extrem wichtig ist. Die Lesekonventionen geben dem Experiment einen flexiblen Rahmen. Das Spannungsfeld finde ich total spannend.
Davon inspiriert habe ich damals den Comic “In Our Garden” gezeichnet. Eine autobiografische Kurzgeschichte um die Beerdigung eines Hundes, die vom damals noch ganz jungen Jaja!-Verlag veröffentlicht wurde. Seitdem hat mich das Medium nie mehr ganz los gelassen und ich habe mich z.B. in 24-h-Comics und in Beiträgen zu Anthologien ausprobiert. Mit "Pinke Monster" kam zum Zeichnen die Neugierde hinzu, ob ich eine längere Geschichte gut erzählt bekomme.
Erzähl uns doch ein wenig über die Entstehung von "Pinke Monster". Wie kam es zu dem Projekt und warum wolltest du gerade diese Geschichte für deine erste buchlange Comicerzählung ausgewählt?
Claus Daniel Herrmann: Nach “In Our Garden” hatte ich die Idee, dass ich weitere autobiografische Inhalte nutzen könnte. Ich hatte das für den Comic zentrale Erlebnis mit den pink übermalten Monsterzeichnungen schon ein paar mal Freunden erzählt. Einmal war der Ausgangspunkt für das Gespräch mein ausgeprägter Skeptizismus gegenüber esoterischen Vorstellungen und endete bei den pinken Monstern. Dadurch ist mir sehr bewusst geworden, wie prägend diese Geschichte für mein Denken war.
Während der Arbeit am Comic haben sich dann die übergeordneten Themen in "Pinke Monster" wie Vertrauen, Ideologie, dysfunktionale Kommunikation und sektenähnliche Strukturen rausgeschält, die meiner Meinung nach total aktuell sind. Die Frage, die mich hinter der Geschichte im Grunde antreibt ist, auf welcher Basis sich Menschen ihre Weltbilder bauen, was verlässliche Methoden dazu sind bzw. was passiert, wenn man sich über die Methoden nicht einig ist. Welche Folgen das haben kann, haben wir zuletzt in der Pandemie erlebt, wo Risse quer durch die Gesellschaft gelaufen sind. Die Pandemie lag mitten in der Bearbeitungszeit von "Pinke Monster" und hat mich sehr darin bestätigt, dass das Buch Relevanz hat.
"Pinke Monster" ist autofiktional und greift emotionale Erlebnisse aus deiner Jugend auf. Was war deine Motivation und was waren die Herausforderungen dabei, eine so persönliche Geschichte zu erzählen und zu veröffentlichen?
Claus Daniel Herrmann: Am Anfang war meine Motivation, das Thema Esoterik humorvoll zu verarbeiten und meinem Frust ein Ventil zu geben. Dazu habe ich eigene Erinnerungen anekdotenhaft gesammelt und aufgeschrieben. Die Herausforderung im ersten Schritt war, daraus einen zusammenhängenden Handlungsbogen zu stricken, der die Lesenden durch die Geschichte zieht. In der ersten Fassung waren dann schon alle wesentlichen Themen und Konflikte angelegt, aber ein großes Problem für die Testleser*innen war folgendes: Die Antagonistin Thea war von Seite eins an die unsympathische Eso-Tante. Dadurch war nicht nachvollziehbar, warum die Familie und vor allem der Protagonist Frank sich ihr anvertrauen und die esoterischen Vorstellungen übernehmen. Mit dieser Erkenntnis hat sich meine Motivation verschoben: Jetzt wollte ich erzählen, wie es überhaupt passieren kann, dass man esoterischen Vorstellungen anheim fällt. Das ist mir in der fertigen Fassung erzählerisch besonders wichtig, weil ein Teil der Spannung und vielleicht auch ein leichter Grusel in dem Gefühl liegt, dass einem selbst genau so etwas passieren könnte.
Mit der freien Lektorin Wiebke Helmchen zusammen habe ich daher den gesamten Aufbau der Geschichte dahingehend verändert. Das Buch hat sich dadurch auch tonal stark verändert. Humor spielt immer noch eine Rolle, aber die Esoterik wird nicht mehr so vordergründig lächerlich gemacht. Damit habe ich eine Zeit lang gehadert, aber ich bereue die Entscheidung nicht. Die fertige Geschichte ist viel wirkungsvoller geworden, als die erste Fassung. Durch das autofiktionale Schreiben stand ich auch immer wieder vor der Frage, was an dem Selbsterlebten eigentlich relevant ist und wo ich mir im Sinne der Dramaturgie erzählerische Freiheiten nehmen muss. Dadurch sind ganz viele Details im fertigen Buch fiktionalisiert, aber alles basiert auf wirklich erlebtem und ist sozusagen emotional wahr.
Eine besondere Herausforderung dabei war es für mich, Fiktion und Realität gedanklich getrennt zu halten. Obwohl ich mit dem Sammeln von Anekdoten begonnen habe, steckt in dem fertigen Comic fast keine Szene mehr, die ich genau so erlebt habe. Auch der zentrale Konflikt um die Monsterzeichnungen und negativen Energien hat sich nicht genauso zugetragen. Und trotzdem habe ich mich mit dem Protagonisten gerade am Anfang des Schreibens so stark identifiziert, dass die Grenze zwischen Fiktion und Erinnerung manchmal durchlässig wurde.
Je weiter sich die Erzählung von meinen Erlebnissen trennte, desto mehr Abstand habe ich vom Protagonisten bekommen. Und jetzt wo die Geschichte abgeschlossen ist, kann ich wieder sicher sagen: Das da ist Frank und hier bin ich, und dazwischen ist ein Abstand und der ist gut.
Um seinem an einer Depression erkrankten Vater zu helfen, sucht Franks Mutter Hilfe bei einer esoterischen Heilerin. Inwiefern siehst du Parallelen zwischen der Suche nach „alternativen Wahrheiten“ innerhalb Franks Familie und die zunehmende Abwendung von wissenschaftlichen Theorien und der Verbreitung von Verschwörungstheorien seit der Corona-Pandemie?
Claus Daniel Herrmann: Ich sehe da durchaus Parallelen. Menschen fühlen sich hilflos oder ohnmächtig und stehen konventionellen Einrichtungen oder dem wissenschaftlichen Konsens kritisch gegenüber und greifen zu einfachen Scheinlösungen. In "Pinke Monster" ist Franks Mutter das Vertrauen in die Medizin verloren gegangen und in ihrer Ohnmacht gegenüber der Krankheit des Vaters gibt ihr das esoterische Angebot die Illusion von Selbstwirksamkeit. Parallel dazu wurde in der Coronoa-Pandemie sichtbar, wie vielen Menschen das Vertrauen in den Staat und die Medien bereits verloren gegangen war. Als der Staat als Reaktion auf die Pandemie Freiheiten empfindlich einschränkte, konnten Verschwörungstheorien ein Gefühl von Selbstwirksamkeit zurückgeben.
Dabei eint Esoterik und Verschwörungstheorien, dass sie dem Individuum und der Gesellschaft die Faktengrundlage entziehen. Gefährlich wird das für das Individuum, wenn z.B. wirksame Therapien zugunsten esoterischer Ansätze verschleppt oder vermieden werden. Und Verschwörungen können demokratische Prozesse dadurch zersetzen, dass ohne geteilte Annahmen über die Wirklichkeit keine Grundlage mehr für das Aushandeln von Interessen besteht.
Esoterik und Verschwörungstheorien gehen dabei gut zusammen, denn häufig kommt man in der Esoterik zu einem Punkt, an dem man sich fragen muss, warum die präferierten esoterische Methoden nicht vom wissenschaftlichen “Mainstream” als wirksam anerkannt werden, obwohl die Wirksamkeit anekdotisch erlebt wird. Häufig wird diese kognitive Dissonanz mit einer Verschwörungserzählung aufgelöst: Big Pharma unterdrückt günstigere Methoden, weil sie um Profite fürchtet. Oder im Falle der Pandemie muss aus Sicht des Corona-Leugners erklärt werden, warum der Staat sich für die vermeintlich unwirksame Impfung einsetzt. Dann entstehen z.B. Erzählungen von staatlich kontrollierten gechipten Impflingen.
Besonders tricky ist der Umgang mit Esoterikern und Verschwörungserzählern, weil sie sich gegen Kritik immunisieren. Esoterik entzieht sich häufig der Testbarkeit, z.B. indem sie Fehler immer dem Individuum anlastet: Du hast halt nicht dran geglaubt. Verschwörungen bauen Kritik einfach in die Erzählung ein: Kritisierst du die Anti-Big-Pharma-Erzählung musst Du von Big Pharma bezahlt sein. In "Pinke Monster" entzieht sich die esoterische Thea genau nach diesem Prinzip der Kritik und teilt die Welt in energetisch einfühlsame Menschen und den Rest, mit dem sie nichts zu tun haben will. Und am Ende der Geschichte ist die Kommunikation zwischen Vater und Mutter gestört, weil der Vater sich gegen die Kritik der Mutter immunisiert.
Franks Zeichnungen der Monster spielen eine zentrale Rolle in der Geschichte. Was symbolisieren die Monster für ihn und welche Bedeutung spielt künstlerisches Schaffen in seiner Identitätsfindung?
Claus Daniel Herrmann: Frank zeichnet, zunächst weil es sein Safespace ist, in dem er sich ausprobieren kann, und wo er vor seinen Sorgen hin flüchten kann. Das Monsterthema wird zunächst an ihn herangetragen – von seinem Volleyball-Freund Michael bekommt er für die Monsterzeichnungen Anerkennung. Da Frank Michael auch romantisch interessant findet, hofft er über seine Zeichnungen Nähe zu Michael aufbauen zu können. Es macht ihm aber auch Spaß zu sehen, dass seine Zeichnungen Reaktionen wie Grusel oder Ekel hervorrufen können. Als Thea auf die Bilder extrem ablehnend reagiert, kippt Franks Begeisterung für die Wirkung seiner Bilder. Aus Angst, seinem depressiven Vater mit seinen Zeichnungen zu schaden, bringt er keinen gescheiten Strich mehr auf’s Papier. Damit brechen für ihn auch sein Safespace und seine Verbindung zu Michael zusammen.
Erst über das Outing bei seiner Mutter und dadurch, das Frank Michael im queeren Jugendhaus wiedertrifft, entstehen neue Vertrauensverhältnisse, die ihm helfen, das Erlebte zu reflektieren und sich schlussendlich von der esoterischen Thea zu emanzipieren. Seine Zeichnungen reflektieren ganz zum Ende hin sein neu gewonnenes Selbstbewusstsein und die dadurch mögliche Weltoffenheit.
Die Geschichte veranschaulicht, wie Menschen die Verantwortung für psychisch erkrankte Familienangehörige übernehmen und welche Belastung die daraus resultierende Dynamik und Schuldgefühle darstellen können. Was ist dir wichtig, anderen über dieses Thema mitzugeben?
Claus Daniel Herrmann: In meiner Familie wurde eine schwer depressive Person ohne professionelle Hilfe einige Jahre gepflegt, was vor allem meine Mutter, aber auch uns Kinder sehr belastet hat. Meine Mutter hat es damals als ihre Pflicht empfunden, aber hat definitiv ihre und unsere Grenzen überschritten. Die einfachen Heilsversprechen der Esoterik hatten vielleicht tröstende Wirkung, aber sie haben auch dazu beigetragen, dass diese toxische Situation aufrechterhalten wurde. Es sind eben nur Scheinlösungen, die die Esoterik anbietet. In Wirklichkeit schreibt man kurzzeitige Entlastungen, die in allen Krankheitsverläufen vorkommen, fälschlicherweise der esoterischen Behandlung zu und begibt sich in Abhängigkeiten.
Ich habe daraus für mich den Schluss gezogen, dass ich einen wachen Blick auf meine eigenen Grenzen und die meiner Mitmenschen habe und diese auch anspreche, wenn sie drohen überschritten zu werden. Manches geht einfach nicht ohne fremde Hilfe. Und gerade in der Not ist man anfälliger für Scheinlösungen! Daher lieber etwas früher kümmern und professionelle Hilfe suchen, als später.
In den letzten Jahren haben verschiedene Medien über Queerness an Beliebtheit gewonnen – was denkst du, welche Rolle Comics als Bezugsmedium für junge, queere Menschen spielen? Was hätte es für dich bedeutet ein Buch wie "Pinke Monster" als Jugendlicher zu lesen?
Claus Daniel Herrmann: Nicht nur als Lektüre für queere Jugendliche finde ich Comics mit queeren Themen wichtig: Von Angehörigen, Freunden oder anderen Peers gelesen können sie zum Verständnis und zu einer Normalisierung beitragen. Ich würde mir wünschen, dass queere Figuren in Comics dazu beitragen Vorurteile und Othering abzubauen.
Ich denke, Comics sind ein verhältnismäßig niederschwelliges Medium, das aber eine starke Identifizierung mit seinen Figuren ermöglicht. Je mehr Perspektiven und menschliche Facetten in Comics repräsentiert werden, desto höher ist die Chance auch für kleine Minderheiten, eine passende positive Identifikationsfigur für sich zu finden und sich gesehen zu fühlen. Da draußen gibt es andere wie mich! Das ist, gerade wenn man mit der Angst vor Ablehnung zu kämpfen hat, eine sehr tröstende Erkenntnis! Mir persönlich hätte ein Comic wie "Pinke Monster" vermutlich geholfen, mich weniger alleine zu fühlen und mich hoffentlich dazu ermutigt, mich nicht von queerfeindlichen Stimmen verunsichern und vereinzeln zu lassen.
Die Anzahl von queeren Figuren, mit denen ich mich identifizieren konnte, war in meiner Jugend in den 90ern noch sehr überschaubar und meist sehr stereotyp. Ich hatte das Glück, dass ein Bekannter meiner Mutter schwul war und mir nach meinem Outing bei meiner Mutter keinen Comic, aber einen Film mitgebracht hat: In “Beautiful Thing” geht es um zwei Londoner Jugendliche, die Gefühle für einander entwickeln. Die Figuren waren “ganz normale” Jungs, keine exaltierte bunte Männer. Damit konnte ich bonden. Ich kann mich nicht mehr im Detail an die Handlung erinnern, aber noch sehr genau an das Gefühl, verstanden zu werden und mit meinen Unsicherheiten und Sorgen nicht alleine zu sein.
Gibt es aktuell ein Projekt, an dem du arbeitest? Möchtest du uns etwas darüber erzählen?
Claus Daniel Herrmann: Ich bin noch total am Anfang der Findungsphase für ein neues Projekt und bin aktuell auch damit beschäftigt, mein Finanzpolster wieder etwas aufzufüllen. Aber die Arbeit an "Pinke Monster" hat mich sehr erfüllt und ich will definitiv nachlegen! Ich bin prinzipiell auch offen für Zusammenarbeit mit Autor:innen. Über Anfragen würde ich mich daher sehr freuen! Mich faszinieren weiterhin Geschichten, die mit der Fehlbarkeit des menschlichen Geistes spielen. Jetzt gerade könnte ich mir auch vorstellen, dass das nächste Buch eine deutliche Horror-Komponente bekommt. Aber mal sehen!
Wenn es soweit ist erfahrt ihr es auf Instagram (@c.d.herrmann) oder auf meiner Webseite claus-danielherrmann.de. An "Pinke Monster" habe ich insgesamt sechs Jahre gearbeitet. Drückt mir gerne die Daumen, dass das nächste Projekt etwas früher fertig wird... ;)